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Mittwoch, 2. September 2015

#bloggerfuerfluechtlinge

Was mich bewegt


ist, wie wohl die meisten in Deutschland, das Flüchtlingsdrama, das sich zur Zeit hier abspielt. Und ich muss zugeben, neben all der entsetzten Fassungslosigkeit, bin ich auch oft zu Tränen gerührt.

In unserem Bezirk - einem relativ ruhigen Bezirk ganz weit weg davon, ein Szenebezirk zu sein oder sein zu wollen - ist Anfang August eine Notunterkunft errichtet worden. Die Berliner hatten 3 Tage  vor dem Einzug die Möglichkeit, sich bei einer Bürgerversammlung zu informieren, was sicherlich nicht optimal war. Viele schienen sich "übergangen" zu fühlen, als hätten sie vorher gefragt werden müssen. Und wie es ja so oft ist: es ist das Fremde, was Angst macht.

Als ich vier Tage vor dem Bezug der Notunterkunft in einem kleinen Zeitungsladen als unbeabsichtigte Zuhörerin ein Gespräch "belauschte", in dem der Ladeninhaber einen anderen Kunden über die zu erwartenden Flüchtlinge informierte, klang das in etwa so:

Ladeninhaber (LI) in entrüstetem Ton: "Schon gehört, was hier passieren soll?"
Kunde (K): "Nee."
LI: "wir bekommen Asylanten!"
K: "Aha..."
LI: "Dann ist's mit der Ruhe vorbei!"
K: "?"
LI: "Na, das kennt man doch. Fragen'Se mal bei Kaisers, die kennen den Ärger. Und die klauen. Alles. Und die Frauen..."
K:"?"
LI: "Na, die kämmen sich da mit den Bürsten von Kaisers die Haare. Und ihren Kindern auch. Und hängen die Bürsten wieder zurück. Und wir kaufen die. Ist doch eklig. Und die haben es hier so gut. Die kriegen hier doch alles. Viel Geld, Kleidung, Essen und können umsonst wohnen. Denen geht's zu gut..."
K: "Na, die wohnen mit mehreren Leuten in 'nem ganz kleinen Zimmer ohne Platz für sich zu haben..."
LI: "Das haben UNSERE Obdachlose auch nicht. Und das sind Deutsche. Und die kommen und werden versorgt."
K: "Naaa jaaa ..."


Dieses Gespräch habe ich Anfang August ungewollt mithören dürfen, und ich ärgere mich jeden Tag, dass ich nichts gesagt habe. Warum nicht? Dachte ich wirklich, dass mich das nichts angeht? Ich mich nicht einmischen darf?

Nach diesem Gespräch befürchtete ich ganz viele Ressentiments den neuen Bewohnern gegenüber. Doch ganz offensichtlich ist das Gegenteil der Fall. Es gibt Facebook-Gruppen und viele Initiativen, die Projekte durchführen, dafür ehrenamtliche Helfer akquirieren und organisieren, die mit großartigen Ideen versuchen, den Bewohnern auch mit alltäglichen Dingen das Leben schöner zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, endlich "angekommen" zu sein.

Zum Glück ist es nicht nur in unserem Bezirk so, auch viele andere Bezirke helfen auf diese Weise und tauschen sich untereinander aus. Die Kommunikation, die doch sonst so schwer zu sein scheint, klappt bei der ehrenamtlichen Hilfe. Und aus welchem Grund? Vermutlich, weil alle an einem Strang ziehen. Alle Helfer sehen die Notwendigkeit zu helfen, es entwickelt sich ein wunderbares Wir-Gefühl. Wir helfen, wir heißen die Ankommenden willkommen, zeigen Ihnen, dass sie willkommen sind. Wir helfen, wir tun etwas, wir unterstützen da, wo es die offiziellen Stellen aus unterschiedlichsten Gründen nicht können.

2005 hieß es"Wir sind Papst", 2010 "wir sind Grand Prix-Sieger" und -yeah- nach dem "Sommermärchen" von 2006, wo "wir" doch so wunderbar Fußball gespielt haben und "wir" dann Dritter wurden, heißt es 2014 auch endlich: "Wir sind Weltmeister". Was wurde gejubelt und gefeiert, es hat Spaß gemacht, so viele fröhliche Menschen zusammen auf der Straße zu sehen und doch weiß ich: dieses "Wir"-Gefühl habe ich keine Sekunde so ganz wirklich empfunden, schließlich hatte ich nichts, aber auch gar nichts dazu beigetragen.

Das ist jetzt anders.  Das Wir ist ein ganz neues Gefühl, ein Gefühl, dass mich dieses Wir auch wirklich etwas angeht, denn ich ganz persönlich habe die Möglichkeit, Teil von der Gemeinschaft, von dem "Wir" zu sein, Teil derer, die helfen und Mitgefühl empfinden. 

Und das ist etwas, was mich bewegt, oft zu Tränen rührt und auch, bei allem Schrecken eben, auch glücklich macht. Nämlich die Erkenntnis, dass die Menschen (okay, die meisten Menschen) eben doch gut sind. Und diese Erkenntnis ist verdammt viel wert.

Nachsatz vom 03.09.15
Ich möchte hier nicht den Eindruck vermitteln, dass die Flüchtlingssituation ja gar nicht so schlimm ist. Natürlich habe auch ich die schrecklichen Bilder vor Augen, die um die Welt gehen, auch ich fühle mich ohnmächtig angesichts der quälenden Nöte der Flüchtlinge, und auch ich habe, wie viele, viele andere Helfer das Gefühl, dass meine Hilfe lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, der verdampft, kaum dass er gelandet ist. Doch die Sichtweise, die ich oben geschildert habe, die möchte ich nicht in Vergessenheit geraten lassen. Denn das ist das, was mir zumindest Mut macht und mir Antrieb ist, zu helfen. Auch wenn die Hilfe gering ist. Denn wie sagte man mir gestern in der Notunterkunft, als ich nicht so lange bleiben konnte, wie es sicherlich immer notwendig gewesen wäre: "Jede einzelne Minute, die jemand hilft, bringt uns weiter." 

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